22
Feb
2020

Besser, schöner, günstiger? Interview mit einer Fair Fashion Agentur

Seit knapp vier Jahren leitet Alexandra Tynski von Bochum aus die Matilda Agency – eine der noch wenigen Handelsagenturen speziell für nachhaltige Mode und Accessoires in Deutschland. Sie betreut faire Geschäfte und Concept Stores in ganz Deutschland und ist somit Expertin für Hübsches und Nachhaltiges auf der Haut und am Körper. Im Interview verriet sie uns mehr über die Arbeitsweise nachhaltiger Labels und empfiehlt uns die tollsten Stores und Labels in Hamburg, Ruhrgebiet und Deutschland. Außerdem haben wir auch über ihre ganz persönlichen Schritte, nachhaltiger im Alltag zu leben, gesprochen.

 

Die Matilda Agency für nachhaltige Mode & Accessoires

Alex, Du bist seit über drei Jahren mit deiner Handelsagentur in der nachhaltigen Modebranche unterwegs. Was genau macht Deine Agentur?

Die Matilda Agency vertritt nachhaltige Mode und Accessoires für Labels in Deutschland, um deren Produkte in den Einzelhandel zu bringen. Das heißt, ich vertrete den Großhandel für den Einzelhandel. Konkret bedeutet dies zum Beispiel, dass ich entweder einem ganz neuen Label bei dem Aufbau eines Kundenstamms und eines Netzwerks helfe. Oder dass ich bestehende Labels mit der Pflege ihrer Bestandskunden und der Akquise zusätzlicher Neukunden unterstütze. Manchmal sage ich auch, es ist von der Tätigkeit her, ein bisschen so wie das klassische ‚Staubsaugerverkaufen‘ (schmunzelt). Nur natürlich mit mehr Sinn dahinter.

Was ist denn Dein persönlicher Sinn dahinter? Verfolgst Du eine bestimmte Mission?

Die Wertschätzung von Natur und Mensch war für mich persönlich schon immer wichtig und steht für mich nach wie vor im Vordergrund. Von daher liegt es mir am Herzen, dem Thema Nachhaltigkeit mehr Öffentlichkeit zu geben und als Grundidee weiter unter die Leute zu bringen. In der Mode heißt das für mich: Weg von konventionellen Brands und hin zu schöneren, qualitativ und preislich besseren, und dabei auch noch nachhaltigeren Produkten.

Einerseits besteht mein Ziel darin, bestehenden nachhaltigen Einzelhandel zu betreuen. Aber ich versuche auch, bisher konventionelle Läden von der Qualität nachhaltiger Produkte zu überzeugen, die für viele nicht immer selbstverständlich ist.

Da fällt mir als Beispiel direkt MUD Jeans ein, die als Label zwar von Anfang an nachhaltig arbeiteten, aber früher nicht immer auch qualitativ überzeugen konnten. Heute ist das komplett anders. Sie haben sehr lange mit ihren Stoffen und Möglichkeiten experimentiert, sodass sie besonders in den letzten Jahren ihre Qualität auf ein top Niveau gebracht haben.

 

Nachhaltigkeit vs. Marketing?

Das Thema Nachhaltigkeit bewegt die Öffentlichkeit seit einiger Zeit immer mehr. Es findet zunehmendes Interesse bei Verbrauchern und wird in Teilen auch auf EU Ebene diskutiert – wenn wir zum Beispiel an das Thema Plastik denken. Einzelne Firmen nutzen diese Stimmung jedoch für ein sogenanntes ‚Greenwashing‘, das heißt allein für ihr Marketing aus. Wie können wir sicher gehen, dass wir etwas wirklich Nachhaltiges kaufen?

Es gibt eine Reihe von seriösen Zertifikationen und Tags, auf die man achten kann und über die es im Internet ganz transparente Informationen gibt. GOTS gehört beispielsweise dazu, oder auch das Fair Trade Siegel. Ich selbst versuche zusätzlich, so viel es geht, auf möglichst faire Produktionsbedingungen dahinter zu achten: Also, dass die Menschen in den Herstellungsbetrieben die richtige Schutzkleidung in ihrer Arbeit mit Chemikalien tragen, zum Beispiel.

Allerdings hängt natürlich jede Zertifizierung von den finanziellen Mitteln einer Firma ab und nicht jedes Label kann sich ein Zertifikat leisten. Davon sind besonders kleinere Brands und Firmen betroffen. Und dann muss man sich ganz gesondert mit den einzelnen Marken auseinandersetzen.

Aktuell betrifft das bei mir zum Beispiel das Schmucklabel Turina: Die stellen alles unter super fairen und gesunden Bedingungen in den Niederlanden her und benutzen überwiegend Produkte aus nationaler Herstellung oder dem direkt angrenzenden Binnenraum. Sie verwenden überwiegend Holz, nachwachsende Rohstoffe oder recyceltes Plastik oder Metalle. Auch wenn sie keine Zertifizierung haben weiß ich für mich, dass das unterm Strich ein cooles und nachhaltiges Konzept ist.

Eine weit verbreitete Annahme lautet ja, dass sich – auch auf der Verbraucherebene – nachhaltige Mode und Bioprodukte nur besonders gut situierte Menschen regulär leisten können. Du selbst kennst die aktuellen Preise und Margen besonders gut. Wie siehst Du die Sache?

Ich stehe dieser Annahme sehr kritisch gegenüber. Denn da spielt auch das eigene Einkaufsverhalten eine übergeordnete Rolle. Für mich fängt Nachhaltigkeit schon bei Second Hand Kleidung an. Und selbst Öko-Artikel werden bereits als Second Hand Waren verkauft. Ich selbst kaufe für mich privat sehr viel Second Hand ein. Und das ist eine Einstellung, die jeder für sich selbst entscheiden muss. Das fängt zum Beispiel dabei an, sich zu fragen: Muss ich mir jeden Monat eine neue Jeans kaufen, oder kaufe ich mir einmal im Jahr eine neue Jeans? Aber wenn jemand behauptet, er könne sich etwas nicht leisten, dann ist das für mich in erster Linie einfach Faulheit, die dahinter steckt.

 

Das Ende der konventionellen Modeindustrie?!

Du warst ja bereits vor der Matilda Agency lange Zeit in der Modebranche unterwegs. Welches war für Dich der Punkt, an dem Du dachtest: „Jetzt reicht es mir mit der konventionellen Modeindustrie!“? Gab es so einen Punkt?

Ja schon, aber später, ich war ja anfangs noch ziemlich jung. Ich habe damals direkt nach dem Abi angefangen. Über die Zeit konnte ich beobachten, wie sich die Produkte in ihrer Wertigkeit und ihrem Gefühl veränderten. Ich hatte plötzlich immer mehr mit nur noch kratzenden Synthetikteilen zu tun, in denen Gerüche hartnäckig haften bleiben und die sich extrem schlecht angefühlt haben. Da fielen mir immer öfter solche 100% Polyester-Teile in die Hand, die trotzdem 100 Euro kosteten.

Und dieses Unverhältnis hat mich extrem gestört. Langsam fing ich dann an, mich nach Alternativen umzusehen. Ich habe mich im Netz informiert, zunächst als Laie. Und ich glaube als Vegetarierin und  ‚kleiner Öko‘ lag es mir vielleicht eh nahe, die Dinge zu hinterfragen. Oder beziehungsweise stößt man dann auch eher auf Bioläden und Bioprodukte.

Später habe ich dann das Glück gehabt, bei einem tollen Konzept-Store, dem COB in Essen anzufangen, der  zu 100% nachhaltige Produkte in seinem Sortiment hatte und bei dem ich später die Filialleitung übernahm. Der ist übrigens auch heute noch einer meiner Lieblingsläden. So fing das Ganze an. Durch die Kontakte zu den Händlern und auf Messen, und zu den anderen Stores, habe ich immer mehr verstanden, wie einfach es eigentlich ist, nachhaltige Dinge zu kaufen. Ich dachte dann irgendwann: „Cool, geht ja doch!“

Wann ist Alltag nachhaltig?

Was ist das für Dich genau? Was bedeutet Nachhaltigkeit im Alltag, beziehungsweise welche Maßnahmen ergreifst Du selbst ganz konkret?

Ich versuche verschiedene Dinge zu berücksichtigen. Ich benutze zum Beispiel keine Alufolie, keine Küchenrolle, keine Taschentücher. Ich benutze meine selbstgemachten Bio-Wachstücher und Naturkosmetik. Ich achte sehr darauf, wenig Plastik einzukaufen und nur Müllbeutel mitzunehmen, die biologisch abbaubar sind. Gerade im Modebereich achte ich natürlich besonders darauf.

Ich kaufe sehr viel Second Hand Kleidung ein, das finde ich besonders schön, weil da ein wichtiger Kreislauf stattfindet. Warum sollte man auch Klamotten wegschmeißen oder komplett neu kaufen, wenn es schon welche gibt, die man noch gut tragen kann und die sehr schön sind? Und ich schaue auch darauf, dass zusätzlich so wenig wie möglich an Rest- und Abfallprodukten im Produktionsprozess meiner Kleidung entsteht.

Und ich achte auf die Resteverwertung, die meine Lebensmittel betrifft. Ich esse zum Beispiel auch noch Lebensmittel, die schon über dem Haltbarkeitsdatum liegen.

Die schönsten Läden zum nachhaltigen Shoppen

Schlagen wir noch einmal die Brücke zu Hamburg, wo Andrea von treibholzeffekt.com sitzt, hier zu uns ins Ruhrgebiet. Welches sind Deine Lieblingsläden zum nachhaltigen Shoppen? Wo finden wir schöne nachhaltige Kleidung in Hamburg und Ruhrgebiet?

Also, dann fange ich mal mit meinem absoluten Lieblingsladen hier im Pott an: In Essen der ‚COB‘, das ist ein Concept Store, da gibt es von Textilien zu Naturkosmetik zu Keramik zu Home einfach alles. Auch Baby-Waren, Papeterie,… das ist einfach ein riesen Store, wo du immer etwas findest. Dann gibt es hier in Bochum den ‚Native Souls‘, der reine Textilien für Frauen und Männer verkauft. Den gibt es in der Essener Innenstadt noch einmal. Dann gibt es noch einen kleinen süßen – übrigens sogar veganen – Klamottenladen hier in Bochum, den ‚Kong Island‘. Außerdem gibt es den ‚Ettics‘ in Witten, der ist kombiniert mit einem Unverpacktladen.

In Köln gibt es die ‚Fairfitters‘, die sind auch ganz toll. Die haben auch einen tollen Laden. Das ist eine alte Garage, wo der Eingang so ein Zieh-Tor ist. Das ist in dem belgischen Viertel. ‚Becker-Münch‘ fällt mir noch ein, in Recklinghausen. Das ist auch hier in der Nähe und ist echt ein super Laden. Dort gibt es jetzt übrigens auch den ersten Unverpacktladen, nämlich ‚Sandy’s‘.

Zu meinen liebsten Läden allgemein gehören außerdem noch in Münster, die ‚Grüne Wiese‘, das sind richtig coole Leute und sind mit welche der ersten gewesen, die einen reinen Öko-Laden dort aufgemacht haben.

Dann gehört auch noch in Weimar ‚Loveafair‘ zu meinen Lieblingskunden, in Potsdam ‚Bleib sauber‘ und in Darmstadt ‚Soulid‘.

 

Fair Fashion Stores in Hamburg <3

Und in Hamburg?

In Hamburg sitzen zum Beispiel ‚Glore‘ und ‚Love it Green‘. Und ‚Captain Svenson‘, der ist auch komplett grün und liegt direkt in der Schanze. Dann ist da natürlich noch der Avocado Online Store. Der hat seinen Sitz in Hamburg und ist quasi ‚die‘ Online-Plattform nur für nachhaltige Marken.

Was man übrigens als Endverbraucher auch immer machen kann, ist im Store Locator von einzelnen Marken zu gucken, welche Produkte wo verkauft werden. Und auf der ‚Armed Angels‘-Seite kannst du zum Beispiel zusätzlich auch die Zertifikationen einsehen, mit denen sie zusammen arbeiten.

Als einzelnes Label ist da auch noch ‚PingPong‘ total erwähnenswert. Die sitzen in Köln und recyceln PET Flaschen, um daraus stylische Rucksäcke zu kreieren. Wirklich viele Kölner tragen mittlerweile einen ‚PingPong‘-Rucksack – und ich selbst trage auch einen.

Oder ‚Veja‘, die haben sehr schöne Schuhe – wobei es, zugegeben, eine Weile dauert, bis man blasenfrei darin läuft. (Lacht) Aber ich habe das selbst eigentlich sehr gerne ausgehalten, weil ich sie einfach sehr schön finde.

Du hattest ja auch erwähnt, dass es noch gar nicht viele Fair oder Sus Fashion Agenturen gibt?

Rein für nachhaltige Mode gibt es tatsächlich noch sehr wenige. In Düsseldorf soll noch eine sitzen, die kenne ich aber nicht persönlich. Und in Hamburg sitzt eine tolle Kollegin, die Linda Mohrmann mit ihrer ‚Agentur Fair Fashion‘. Aber ansonsten gibt es auch viele Vertreter die direkt und für nur ein Label arbeiten. Das heißt, sie sind in Vollzeit als Handelsvertreter für ein einziges Label angestellt.

Was sind Deine nächsten Schritte mit der ‚Matilda Agency‘? =)

Ich habe aktuell eine neue Kooperation mit ‚Stoffbruch‘ angefangen, ein ganz junges Label aus Berlin. Die sind zum Beispiel in den vergangenen Jahren von konventionell auf komplett nachhaltig umgestiegen. Deren Ziel war das zwar schon länger, aber von null auf hundert geht eine solche Umstellung einfach nicht. Dahinter steckt eine lange Entwicklungsphase und Produktionsstätten mussten verlegt werden. Aber trotzdem haben sie diesen Weg gewählt und haben vor einiger Zeit ihre zweite Kollektion herausgebracht, die komplett nachhaltig ist.

Vielen Dank Dir, liebe Alex =)

MEHR INFOS

Getroffen habe ich Alex in ihrem damaligen Showroom, der allerdings vor Kurzem innerhalb Bochums umgezogen ist und nun in der Fahrendeller Straße zu finden ist. Mehr über Alex Agentur und ihre nachhaltigen Labels sowie den Kontakt zu ihr, findet ihr außerdem auf ihrer Webseite www.matilda-agency.de.

Zu den Bildern

Gemeinsam mit Alex haben wir eine kleine Auswahl an Beispiel-Stücken aus dem nachhaltigem Labelsortiment für euch abgebildet. Allesamt Beispiele dafür, dass nachhaltige Mode fair, nachhaltig, bezahlbar UND schön sein kann:

Die Recycling-Hosen und Jeans der Marke ‚MUD‘ liefern angesagte Modelle wie Skinny und Mom Jeans und haben sich besonders in den vergangenen fünf Jahren noch einmal qualitativ gesteigert: „Die muss man vor dem Tragen garantiert nicht waschen“, sagt Alex.

Das Berliner Label ‚ATO‘ ist eines von Alex ältesten Kunden und steht für ausgefallene, hippe und dabei rundum faire Mode. Laut Alex, ein „super Label für Entdecker und typisch-toll Berlin“!

Das Schmuck-Label ‚Turina‘ in möglichst kreislauforientierten und ausschließlich regionalen bis binnenweiten Produktionsprozessen und ist dabei hübsch und erschwinglich.

Das Accessoire-Label ‚Ting‘ begleitet Alex schon seit mehreren Jahren und entwirft feine, geometrische Formen und Stein-Variationen als Accessoires aus Recycling-Metallen und -Steinen. Absolut schön!

Fotos: Foto-Studio Paul Dudley

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